Niloufar Mehboudi

Schreiben / نوشتن

8. Dezember 2022

Das Schreiben war noch nie meine Stärke, selbst in meiner Muttersprache nicht. Ich habe mehr als zehnmal versucht, Tagebücher zu schreiben, aber es ist mir nie gelungen, länger als drei Tage dabei zu bleiben.

Das Leben ging wie gewohnt weiter, mal angenehm, mal überraschend. Doch ich wollte immer Momente festhalten. Warum? Weil ich Angst vor Alzheimer habe. Mein Großvater hatte darunter gelitten, und ich fürchte, dass es mir auch passieren könnte. Ich möchte nicht plötzlich meine Enkelkinder nicht mehr erkennen können (falls ich einmal heirate). Ich möchte nicht alles vergessen und den Sinn des Lebens auf einmal verlieren. Nun gut, wie gesagt – das Leben ging weiter. Mal schwer, mal leicht.

Dieses Mal jedoch verspürte ich eine echte Lust dazu. Wie hat das angefangen? Eines Tages wurde ich auf Instagram angeschrieben. Wir begannen zu schreiben, ohne uns jemals zu treffen – und es wurde zur Gewohnheit. Ich genoss es und es erleichterte mir meine Zugfahrten. Schließlich bin auch ich ein Mensch. Ich mochte ihn und wollte alles sofort mit ihm teilen. Er fand mich lustig und eine starke Frau – bis wir uns trafen (das war eine witzige Geschichte). Plötzlich war er verschwunden. Ich habe dabei zwei Ohren verloren, die mir gehört hatten. Es war unangenehm, aber so ist das Leben. Es nimmt uns manchmal etwas weg, ohne es uns mitzuteilen. Heyyy, warum gibst du uns etwas Schönes, wenn du es uns wieder wegnehmen willst? Hm. Aber ich fand es schön, alles mit jemandem teilen zu können. Über alles sprechen zu können. Also beschloss ich, auf Instagram zu schreiben. Ich habe über 1700 Freunde, von denen mir mindestens 10 zuhören, und selbst wenn ich einen verliere, habe ich immer noch welche. Das Gute daran ist, dass niemand gezwungen ist, mir zuzuhören. Sie tun es freiwillig. Wenn sie mich langweilig finden, lesen sie einfach nicht weiter. Also habe ich eines Tages einfach angefangen, alles zu teilen, was ich wollte. Ich habe die erste Geschichte verschickt und sofort viele Nachrichten erhalten. Es war 6:30 Uhr in Deutschland und 9 Uhr im Iran. Viele haben gelacht und ich konnte vielen Menschen gute Laune schenken. Das Lustigste war eine Nachricht von meinem Cousin im Iran. Dann habe ich eine weitere Geschichte geschickt und wieder viele positive Rückmeldungen erhalten. Das war lustig und vor allem das Schreiben selbst, obwohl ich es eigentlich nicht mag. Ich hatte einfach etwas Normales geschrieben. Das passiert mir besonders bei meinen iranischen Freunden. Ich schicke ihnen eine normale Nachricht oder Sprachnachricht und sie schreiben zurück: „Aaaa, das war cool, ich habe viel gelacht“. Ich weiß nicht, ob das eine Beleidigung ist? :)) Aber nein, alles ist gut. Ich liebe es, gute Laune zu verbreiten. Das Leben ist schon schwer genug.

Ich pendle seit über einem Jahr und habe daher genug Zeit, wenn ich Energie dafür habe. Ich begann, kleine persönliche Erlebnisse aufzuschreiben. Ich dachte, vielleicht können meine Erlebnisse jemandem helfen, der vorhat, zu immigrieren. Ich erhielt viele positive Rückmeldungen und viele fanden meinen Schreibstil gut. Ich schrieb über gute und schlechte Momente. Viele schreiben nur über schöne Dinge… Einer meiner Follower hatte Literatur studiert und schrieb mir, dass ich gut schreiben könne und einen besonderen Stil hätte, den manche Autoren nicht hätten. Er motivierte mich, weiterzuschreiben. Gleichzeitig fragte mich eine meiner Kolleginnen, worüber ich schreibe. Sie fand die Bilder, die ich teilte, sehr interessant, konnte aber kein Farsi lesen und wusste nicht, worum es ging. Das gefiel mir eigentlich nicht, dass meine Follower nicht verstehen, was ich schreibe. Ich fand das respektlos. Sie sind meine Freunde. Mein Account ist privat. Das bedeutet, sie haben mich ausgewählt und ich habe sie… Also entschuldigte ich mich und sagte, dass ich Angst habe, auf Deutsch zu schreiben. Ich weiß, dass ich Fehler mache und es ist mir unangenehm. Sie antwortete, dass es natürlich sei, Fehler zu machen. Deutsch ist nicht meine Muttersprache und das werde jeder verstehen. Ich fragte sie, ob sie immer noch meine Freundin sein werde, wenn ich nicht perfekt schreibe. Sie antwortete mit Ja und ermutigte mich sogar, auch auf Deutsch zu schreiben. Und oh, das war eine gute Entscheidung. Ihr wisst nicht, wie viele coole Nachrichten ich bekommen habe, seitdem ich versuche, zweisprachig zu schreiben. Ich sagte: „Heyyy Leute, ich werde versuchen, alles auch auf Deutsch zu schreiben. Ich wollte es früher tun, aber ich hatte Angst.“ Sofort erhielt ich eine Nachricht von einem Geschäftsführer einer Agentur, bei der ich mich für ein Praktikum beworben hatte. Er schrieb: „Du schreibst besser Deutsch als viele deutsche Bewerber.“ Das waren genau seine Worte. Ist das nicht schön? Oh mein Gott, ich war so glücklich und motiviert, weiterzuschreiben. Ein paar Monate lang habe ich im Homeoffice gearbeitet und war selten im Zug, da ich meine Bachelorarbeit schreiben wollte. Ich wusste jedoch genau, worüber ich nach der Bachelor-Präsentation schreiben wollte. Ich hatte viele Ideen und wenig Zeit. Aber meine Pläne haben sich geändert. Ich hatte sehr schwierige Tage und Wochen. Das Schreiben geriet dabei in den Hintergrund. Aufgrund der aktuellen Situation im Iran werde ich meinen Alltag nicht mehr auf Instagram posten, da es momentan wichtigere Dinge gibt, die gesehen und gelesen werden müssen. Aber gestern, als ich alleine im Zug auf dem Weg zur Arbeit war, hatte ich die Idee, Blogs zu schreiben. Ich kann sie im Zug vorbereiten und irgendwann auf meiner Webseite veröffentlichen.

So habe ich mein Tagebuch online. Wer weiß, vielleicht hilft es jemandem. Vielleicht interessiert sich jemand dafür.

RE 1 nach Hamm. Haltestelle Düsseldorf Flughafen.

19:28

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert